Die Siedlung Bergfrieden: Sozialer Wohnungsbau als Privatinitiative

Das Gelände der heutigen Siedlung Bergfrieden und des oberen Dausendbuschs war bis in die 1910er Jahre so gut wie unbebaut. Es gab den Hof Dausendbusch an der Quelle des Bendahler Bachs und ab ca. 1900 ein paar Meter oberhalb des Hofes der imposante Villenbau des damals Villa Elise genannten Hauses Bergfrieden 9 – ansonsten nur landwirtschaftlich genutzte Flächen.

Der alte Hof Am Dausendbusch, unbekantes Aufnahmejahr
Der alte Hof Am Dausendbusch, unbekanntes Aufnahmejahr.
Villa Elise
Die Villa Elise um 1910. heute das Haus Bergfrieden 9.

Die Villa und weite Teile der Ländereien waren im Besitz der Unternehmerin Marie Demrath-Vollmer, die sich im und nach dem ersten Weltkrieg stark dem sozialen Gedanken verpflichtet fühlte.

Insbesondere die Unterstützung von Kriegsversehrten lag Frau Demrath-Vollmer sehr am Herzen und sie beschäftigte bereits während des Kriegs zahlreiche verstümmelte ehemalige Soldaten in ihrem Betrieb aus der  Inneneinrichtungs- und Kunstgewerbebranche. Mit Hilfe der dabei erlernten Fähigkeiten sollten diese zukünftig imstande sein trotz der Behinderungen ein ausreichendes eigenes Einkommen für den Lebensunterhalt zu erzielen. Es wurden von Frau Demrath-Vollmer auf diese Art mehr als tausend Kriegsbeschädigte umgeschult.

Denn viele Kriegsversehrte fanden sich im zivilen Leben nicht mehr zurecht. Sie wurden häufig mit ihrem Leid und einer kümmerlichen Invalidenrente sich selbst überlassen. Dazu kam, viele Männer kamen aus dem Krieg gar nicht mehr zurück und hinterließen Witwen und Halbwaisen. Frau Demrath-Vollmer wollte dieses Leid mindern und begann mit der Planung einer Kriegsinvaliden- und Kriegswitwensiedlung auf der kleinen Erhebung nördlich ihrer Villa, die den programmatischen Namen Bergfriede (zunächst ohne n) tragen sollte.

Das Konzept sah vor, dass auf Kosten von Frau Demrath-Vollmer 46 Wohngebäude mit Gartengrundstücken errichtet werden sollten. Es waren mehrere verschiedene Bautypen vorgesehen, die alle als freistehende, anderthalbgeschossige Einfamilienhäuser mit unterschiedlichen Dachformen konzipiert wurden. Die Hausbreite war aber dabei bei allen gleich vorgesehen, da einheitliche Balkenlagen, Fenster und Türen vorgesehen waren.

Die Häuser sollten an Straßen liegen, die in gewundener Form von einem zentralen Platz ausgingen, dem heutigen „Dorfplatz“. Die Gärten sollten eine großzügige Fläche von jeweils 1.250 umfassen. Geplant war auch am westlichen Ende der Siedlung (heute das Ende der Straße Am Dausendbusch) ein größerer Platz, an dem ein Gemeinschafts- und Erholungshaus errichtet werden sollte.

Die Kriegsinvalidensiedlung Bergfrieden nach den Planungen
Projektskizze der Kriegsinvalidensiedlung Bergfrieden gemäß den Planungen.

Jedes Haus sollte ausgebaute Kellerräume, Wirtschaftsräume mit Waschküche, Wohnbereiche mit drei Zimmern, eine Laube, Werkstätten und Ställe für Schweine und Ziegen besitzen. Denn das Konzept sah vor, dass die Bewohner als Selbstversorger für ihren Lebensunterhalt selbst aufkommen und neben Obst- und Gemüseanbau und Tierhaltung auch kleinere Heimgewerbebetriebe und Werkstätten betreiben sollten, in denen sie die in der Firma von Frau Demrath-Vollmer erlernten Fähigkeiten anwenden konnten.

Nachdem durch die Zusagen des Reichswehr-, des Post- und des Eisenbahnministeriums, fünf Jahre den Kriegsinvaliden lohnende Produktionsaufträge zu erteilen, die Finanzierung gesichert war und Frau Demrath-Vollmer die Genehmigung der Stadt Barmen eingeholt hatte, wurde am 6. Juli 1918 unter dem Dach einer Stiftung der Verein Kriegsinvaliden- und Kriegerwitwensiedlung Bergfriede gegründet.

Mit der Ausarbeitung der Pläne wurde der Architekt Karl Siebold aus Bethel bei Bielefeld beauftragt. Ein Unternehmer bot den Bau in der Frühphase der Planungen für günstige 10.000 Mark pro Haus an, ein Preis, der aufgrund des fortschreitend schwierigeren kriegs- und nachkriegswirtschaftlichen Umfeld nicht gehalten werden konnte.

Idealansicht Typ mit Satteldach (kleine Bild) und mit Walmdach. Quelle; Siebold WMB 1921/22.
Idealansicht der Typen mit Walmdach und Satteldach (kleines Bild) nach Karl Siebold.

Die Häuser wurden trotz einheitlichen Konzepts mit Liebe zum Detail projektiert. Pfeilergestütze Lauben, Zierfachwerk, Rundbogenblenden, Bruchsteinsockel, Klappläden waren nur einige der individuellen Gestaltungselemente.

Wohnräume, Wirtschaftsräume, Ställe und Werkstätten sollten barrierefrei auf einer Ebene mit leichten gegenseitigem Zugang ohne Treppen realisiert werden, um Rücksicht auf die körperlichen Behinderungen der Bewohner zu nehmen.  Die Wohnräume sahen auf einer Ebene eine Wohnküche, Speisekammer, Schlafzimmer der Eltern und der kleinen Kinder und eine „Gute Stube“ vor. Von den Konzept wurde aber bei Häusern in Hanglage abgewichen, wo es zweckmäßiger erschien mit zwei Geschossen zu planen. In den Dachkammern sollten weitere geschlechtergetrennte Kinderzimmer für ältere Kinder ihren Platz finden.

Mustergrundriss nach Siebold. Quelle: WMB Siebold 1920/21 S.263ff
Mustergrundriss nach Siebold.

Die Grundsteinlegung erfolgte am 24. Juli 1918, noch während des Krieges. Die Materialbeschaffung konnte zu dieser Zeit nur durch Fürsprache ranghoher Militärs realisiert werden, ein Indiz für die guten Kontakte Frau Demrath-Vollmers in Berlin. Die Mauern wurden massiv aus selbstgepressten Schwemmsteinen errichtet, die Gartenmauern aus Bruchstein aufgeschichtet.

Bau der Kriegsinvaliden -und Kriegerwitwensiedlung Bergfrieden
Bau der Kriegsinvaliden -und Kriegerwitwensiedlung Bergfrieden.

Schnell stellte sich aber heraus, dass Verein, Stiftung und Frau Demrath-Vollmer von dem Projekt finanziell überfordert waren. Zudem blieb weitere erhoffte Rückendeckung aus, weder die Stadt Barmen war von dem Projekt überzeugt, noch das Kriegsamt in Berlin, dass die Baugenehmigung 1920/21 wieder aussetzte.

Der "Dorfplatz" - noch heute steht im Zentum der Rotunde die damals gepflanzte Linde
Der „Dorfplatz“ mit Haus Bergfrieden 22 (Typ Walmdach) – noch heute steht im Zentrum der Rotunde die damals gepflanzte Linde. Der Gedenkstein an Frau Demrath-Vollmer wurde im zweitem Weltkrieg zerstört.

Das Rückgrat des Projekts wurde aber durch die fortschreitende Inflation der Nachkriegsjahre gebrochen, die finanziellen Kapitalreserven der Stiftung schrumpften zusammen. Die Stadtverwaltung forderte weitere Sicherheiten und ein vehementer Schlagabtausch begann. Ein Prüfungsausschuss der Stadtrats befasste sich 1920 mit der Causa und stellte sich hinter die Verwaltung. Hinzu kam, dass selbst die Fürsorgestelle für Kriegsbeschädigte verneinte, dass die Siedlung im Interesse und Sinne der Kriegsinvaliden sei.

Das Siedlunghaus Bergfrieden 22
Das Siedlunghaus Bergfrieden 22 mit den Bewohnern.

Dennoch gewährte die Stadt trotz starker Bedenken am Konzept Zuschüsse und Bankbürgschaften, um zumindest die 17 Häuser fertigzustellen, deren Bau bis dahin begonnen worden war. 1923 reiste Frau Demrath-Vollmer nach Berlin, um weitere Finanzhilfen einzuwerben. Bei diesem Versuch erlitt sie einem Herzinfarkt und verstarb unmittelbar.

Das Haus Bergfrieden 22
Das Haus Bergfrieden 22.

Am 30. August 1923 wurde der Verein Siedlerbund Bergfrieden e.V. gegründet, der das Projekt nun übernahm. Die begonnenen 17 der 46 geplanten Häuser wurden bis zum 7. Juni 1924 fertiggestellt. An diesem Tag wurde in einer Rotunde auf dem zentralen Dorfplatz eine Linde zum Gedenken an Frau Demrath-Vollmer gepflanzt und ein Gedenkstein aufgestellt – die Linde spendet noch heute dort Schatten.

Die Siedlung von Süden aus gesehen
Die Siedlung von Süden aus gesehen kurz vor der Fertigstellung. Links der Turm der Villa Elise. Sie wurde nach dem Tod von Frau Demrath-Vollmer von dem Fabrikanten Ewald Kellermann gekauft.

Die fertiggebauten Häuser gingen in Privatbesitz über, wobei sich der Siedlerbund bei Veräußerung ein Vorkaufsrecht sicherte. Die restlichen Grundstücke, insbesondere an der Sraße Am Dausendbusch, wurden bis 1939 ebenfalls an Privat verkauft.

Das Luftbild von 1928 zeigt die 17 fertig erstellten Häuser. Grün markiert erhaltene, rot markiert abgegangene Häuser (blau: unklar)
Das Luftbild von 1928 zeigt die 17 fertig erstellten Häuser. Grün markiert erhaltene, rot  abgegangene Häuser (blau: unklar).

Drei verschiedene Hausformtypen können noch heute unterschieden werden: Bergfrieden 26, Bergfrieden 8 und 15 und Bergfrieden 18 und 22. Fast alle übrigen Häusern wurden teils durch Brand, teils durch Bombeneinschläge während des zweiten Weltkriegs zerstört. Das Haus Bergfrieden 19 war typengleich zu Nr. 26 und wurde erst 2015 abgerissen und durch einen Neubau ersetzt

Das Haus Bergfrieden 22 nach einem Bombeneinschlag. Im nachträglich angefügten Anbau befand sich bis in die 1970er Jahre ein kleines Lebensmittelgeschäft.
Das Haus Bergfrieden 22 mit Bombenschäden. Im nachträglich angefügten Anbau befand sich bis in die 1970er Jahre ein kleines Lebensmittelgeschäft.

Heute ist die Siedlung ein reines Wohngebiet mit unterschiedlichster individueller Bebauung in rein privater Eigentümerschaft. Ein paar der Siedlungshäuser existieren heute noch, ebenso die Rotunde auf dem „Dorfplatz“ mit der Linde. Auch die Villa Elise steht noch, aber das ursprüngliche Siedlungskonzept ist heute kaum noch wahrnehmbar.

Literatur:

Christoph Heuter: Stadt Schöpfung – Siedlungen der 1920er Jahre in Wuppertal-Barmen, Müller + Busmann, Wuppertal, 1995, S.130f

Karl Siebold (Kgl. Baurat): Beitrag in: Wasmuths Monatshefte für Baukunst, Ausgabe 6.1921, S.261f

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